Das Institut für Fluidsystemtechnik feiert 125 Jahre mit einer Zukunftsfrage: Was ist Qualität?

10.11.2022 von

Am 7.10.2022 feierte das Institut für Fluidsystemtechnik der TU Darmstadt sein 125-Jähriges Jubiläum mit Gästen von anderen Universitäten, aus den Fachbereichen und der Industrie.

Der Nachmittag war dreigeteilt. Zunächst eine Reflektion über die Anfänge, über den ersten Lehrstuhlinhaber Adolph Pfarr sowie auch unsere heutige Welt durch Jörg Necker, der als Festredner eingeladen war. Im zweiten Teil reflektierte Peter Pelz die Hintergründe der heutigen Institutsforschung an und für soziotechnische Systeme mit einem Blick auf die Zukunft unserer Welt. Im dritten Teil diskutierten Publikum und Podium über die Frage „Was ist Qualität?“. Diese vermeintlich banale Frage stand am Anfang der Gründung der TH Darmstadt im Jahr 1877. Sie führt aber auch in die Zukunft, wenn wir über Nachhaltigkeit sprechen wie die Diskussion und der gesamte Tag zeigte. Damit ist die Richtung für die kommenden 125 Jahre gegeben.

Die Entwicklung der Technischen Universitäten im deutschsprachigen Raum und damit des „German Engineering“ unterscheidet sich von der Ingenieur-Kultur in den englischsprachigen Ländern, von der Kultur in Frankreich und von der z.B. in Japan. England ist u.a. von Joseph Whitworth (1803-1887) geprägt, der mit seinem Qualitäts-Paradigma die Grundlagen der industriellen Fertigung schaffte. Frankreichs Ingenieurwissenschaft ist sehr durch die rationale Mechanik beeinflusst und Japans Ingenieurwissenschaft u.a. auch von Taguchis (1924 – 2012) holistischer Sicht auf Beschaffung, Fertigung und Produktnutzung, die in der Robust-Design-Methodik mündete, die heute weltweit zum Einsatz kommt.

Für die Entwicklung der Ingenieurwissenschaft im deutschsprachigen Raum ist an erster Stelle Ferdinand Redtenbacher (1809 – 1863), Professor an der TH Karlsruhe, zu nennen, der die Strömungsvorgänge z.B. in Wasserrädern durch Modelle in mathematischer Sprache begreifbar und damit berechenbar machte. Einflussreicher noch war Franz Reuleaux (1829 – 1905), der als Professor in Zürich und Berlin wirkte. Er arbeitet an einem einheitlichen Patentgesetz, war Ideengeber für den Austauschbau, der die Voraussetzung für eine ökonomisch effiziente Fertigung wurde – sicherlich beeinflusst von Whitworth – und schaffte erstmals eine systematische Kinematik der Getriebe. Die Reputation und der Einfluss von Reuleaux sind daran erkennbar, dass er als Preisrichter für Weltausstellungen ernannt wurde. Nach Besuchen der Weltausstellungen in London (1862, 1867), Dublin (1865), Wien (1873) und Philadelphia (1876) attestierte er der Deutschen Industrie das Grundprinzip „billig und schlecht“.

Nur ein Jahr später, im Jahr 1877 wurde die polytechnische Schule Darmstadt zur Technischen Hochschule Darmstadt und damit zu einer Universität aufgewertet, die 1899 das Promotionsrecht erhielt. Der Zusammenhang zwischen diesem Ereignis und der gnadenlosen Kritik von Reuleaux an der Qualität deutscher Produkte kann nur vermutet werden. Der Weckruf von Reuleaux zu einer Konkurrenz der Qualität in der Industrie aber auch der Wissenschaft und der Fokus auf den wissenschaftlichen Grundlagen war sicherlich ein Grund für das Entstehen der Technischen Universitäten in Deutschland im 19ten Jahrhundert.

Die Anfangsjahre der TH Darmstadt waren vom Mut zur Veränderung und von Geldsorgen geprägt. So wurde erst 20 Jahren nach der Universitätsgründung der Lehrstuhl V im Fachbereich Maschinenbau eingerichtet. Diese Lehrstuhlgründung nehmen wir zum Anlasse auf 125 Jahre zurückzublicken. Wir nehmen diese aber noch mehr zum Anlass einen Blick auf die kommenden 125 Jahre zu wagen.

Dr. Jörg Necker überreicht Prof. Pelz ein Präsent: eine goldene Turbinenschaufel.
Dr. Jörg Necker überreicht Prof. Pelz ein Präsent: eine goldene Turbinenschaufel.

Adolph Pfarr (1851 – 1912) war Direktor der Firma Voith in Heidenheim. Indem Pfarr die Regelungsmöglichkeit von Wasserturbinen über Schaufelverstellung erfand, schaffte er die Voraussetzung für die Frequenzstabilität des modernen Verbundnetztes – sowie für die Beleuchtung der Stadt Frankfurt durch Nutzung der Wasserenergie aus dem Kraftwerk Laufen am Neckar. Am 1.10.1897 wurde er auf den Lehrstuhl V für Wasserkraftmaschinen, Hebemaschinen, Hydraulik und Fabrikanlagen berufen. Am 7.10.2022, d.h. nach 125 a + 6 d wurde dieses Jubiläum feierlich im Georg-Lichtenberg-Haus der Technischen Universität Darmstadt begangen:

Doktor Jörg Necker, Pfarrs heutiger Nachfolger bei Voith, berichtet darüber in seinem Festvortrag zur 125 Jahrfeier des Instituts für Fluidsystemtechnik. Der Leiter der Hydraulikentwicklung mahnte den „Mut zur Veränderung“, den bereits Pfarr vor 125 Jahren zeigte. Gerade in diesem Sommer war auch im eigentlich wasserreichen Mitteleuropa offensichtlich, dass die Ressource Süßwasser am Schwinden ist. Dies betrifft Wasser als Lebensmittel, als Transportweg und als Energieressource für Wasserkraft. Berechtigte Sorgen um Umwelt- und auch soziale Verträglichkeit schränken den Designraum immer weiter ein, so dass „Mut zur Veränderung“ aber auch Kreativität für Innovation zunehmend gefordert ist.

Gleichzeitig zitiert Dr. Jörg Necker von Jakob Bernoullis (1655-1705) Epitaph im Westeingang des Basler Münsters: „eadem mutatat resurgo“ (Verändert und doch gleich kehr ich wieder). Bernoulli wählte als Sinnbild die logarithmische Spirale, die bei Streckung oder Drehung auf sich selbst abgebildet wird. Die Spirale findet sich bei Wasserturbinen und steht als Bild für Ähnlichkeit, Skaleninvarianz und Skalierung. Sie steht aber auch für natürliche Wachstumsprozesse wonach die Änderung einer Größe, hier der Spiralradius, proportional der Größe ist.

Bernoullis Ausspruch „Verändert und doch gleich kehr ich wieder“ zeigt aber auch, so Necker, dass die Menschen für die die Technik gemacht ist, sich über die Zeit kaum verändert haben. Wir können nicht aus unserer Haut, die durch die Evolution des Homo Sapiens vorgegeben ist.

Dr. Jörg Necker ist Pfarrs Nachfolger bei Voith, Peter Pelz ist seit 2006 Pfarrs Nachfolger an der TU Darmstadt. Seit 125a+6d wird dort zur Bewegung von Flüssigkeiten und Gasen geforscht und gelehrt.

Forschung stellt die Frage nach dem Grund aber gleichzeitig auch, in der Tradition von Francis Bacon (1561 – 1626) oder auch Sadi Carnot (1796-1823), immer auch nach dem Nutzen: „Der Grund [Analyse] wird zur Regel [Synthese]“. Analyse und Synthese sind die zwei Seiten einer Medaille. Peter Pelz stellt am Anfang seines Vortrages die Frage nach dem Warum: Menschen wollen Bedürfnisse erfüllt haben, und zwar sicher, verfügbar und nachhaltig. Manche Menschen suchen wie Goethes Faust nach Erkenntnis und Schönheit. Andere suchen Wohlstand, der Homo Ludens will spielen, der Homo Faber will bauen. Die Gesellschaft will all dies bei minimalen sozialen Kosten und sie will Wohlfahrt.

Sodann konzentriert sich Pelz zunächst auf die Analyse. Diese hat empirische Erfahrung als Grundlage für Modelle. Als Beispiel dient die am Institut gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrt (DLR) gemachte Beobachtung, dass informelle Siedlungen unabhängig von Stadt, Land und Kultur gleich groß sind. Das Darmstädter Ergebnis „Similar Size of Slums“ ist heute wohlbekannt. Die Analyse geht über die Beobachtung hinaus und fragt nach dem Grund, der – z.B. in der rationell begründeten Politik, im Sinn von Francis Bacon – als Regel genutzt werden kann. Die mathematische Stabilitätsuntersuchung des Systems zeigt, dass eine Population zur Segregation neigt, wenn Bedingungen an die Attraktivität und Mobilität von „armen“ und „reichen“ Bevölkerungsgruppen erfüllt sind. Diese Kriterien sind Eigenwerte des Systems. Sie sind also dem System immanent und nicht durch Definitionen festgelegt.

Dies führt zum zweiten Teil, den Metriken. Der Künstler Marcel Duchamp nimmt das soziale Konzept einer Metrik auf den Arm, indem er die Funktion des Pariser Urmeters einfach ignoriert. Er lässt im Jahr 1913 drei je einen Meter lange Fäden fallen und nimmt den Bogenverlauf der Fäden als Vorlage für seine „Urmeterschablone“. Die Funktion einer definierten Metrik, nämlich als Basis der Kommunikation, hebt er durch den Zufall wieder auf.

Pelz zielt in seinem Vortrag mehr auf natürliche Normen ab, die den Systemen wie Eigenwerte innewohnen. Diese physikalischen Schranken sind für die Entwicklung von Technik enorm hilfreich, so der Carnotsche Wirkungsgrad bei Wärmekraft, das Betzsche Gesetz bei Windkraft oder auch die Obergrenzen für den Energieertrag aus Wasserkraft, die in den vergangenen Jahren in Darmstadt entdeckt wurden.

Im letzten Teil seines Vortrags geht Pelz auf die Systemsynthese ein. Dabei betrachtet er erst den Komponisten des technischen Systems, dessen Noten die Komponenten sind, als „gutmütigen Diktator“, der ausreichend Kenntnis über das System hat und durch die Anwendung von exakten Optimierungsalgorithmen mit dem Fluch der Dimensionen zurechtkommt. Mit der kombinatorischen Explosion kämpfen Schachspieler, Künstler und Ingenieurinnen.

Bei den Schachspielern ist der Designraum durch Regeln und Spielfeld fest vorgegeben. Künstler können den Designraum beliebig erweitern. Die Wirklichkeit hat jedoch Wände aus Normen, physikalischen Gesetzen, verfügbaren Technologien, verfügbaren Ressourcen und letztlich durch bekannte (push) oder zu weckende (pull) Bedürfnisse. Effiziente Lösungen sind dabei im Sinne von Pelz Pareto-optimal. Die Erfahrung lehrt, dass solche Komponisten nicht zu finden sind. Manche besiegen den Fluch, keine besiegen Unwissen ohne Strategie.

Der letzte Teil des Vortrags behandelt daher die provokante Frage „Einfach oder Zukunft?“. Natürlich ist die Zukunft nicht nur kompliziert, sondern auch komplex -- und unsicher. Die Unsicherheit erwächst aus einem nichtlinearen, komplexen Systemverhalten oder banal aus Unwissen z.B. über zukünftige Bedürfnisse.

Um Strategien zu entwickeln, bildet Pelz das sozio-technische System auf ein durch Rückführung geschlossenes, dynamisches kybernetisches System ab. Dieses besteht aus 1.) einem Designraum, 2.) der Strecke, nämlich dem sozio-technischen System, 3.) dem Qualitätsraum und 4.) dem sozialen Markt. Im sozialen Markt handeln und entscheiden Hersteller, Kunde und Gesellschaft. In der regelungstechnischen Sprache ist der soziale Markt der Regler, der Qualitätsraum das Messglied und der Designraum, inkl. Herstellung und Betrieb das Stellglied. Mathematisch gesprochen wird der Designraum durch das sozio-technische System auf den Qualitätsraum abgebildet.

Tatsächlich gibt es, so Pelz, drei Strategien, mit denen Komplexität beherrscht werden kann, um Gerechtigkeit der Bedarfserfüllung, Sicherheit, Verfügbarkeit, und Nachhaltigkeit zu erreichen. Die drei Strategien sind:

(i) Nutzen der Ressourcen- und Allokationseffizienz von Märkten für sozio-technische Systeme

(ii) Regeldesign und Designregeln für Märkte und Produkte für gerechte Märkte für das dynamische Ausbalancieren von Macht, Verantwortung, Risiko inkl. Verantwortungstrennung von Planung und Entscheidung (Gewaltenteilung der Nachhaltigkeit)

(iii) Transparenz von Bedürfnissen, Normen, Ressourcen und Technologien im Designraum sowie von Metriken und effizienten Lösungen (Pareto-Flächen) im Qualitätsraum

Die Strategien lassen sich dem kybernetischen System mit 1.) Designraum, 2.) soziotechnisches System, 3.) Qualitätsraum und 4.) sozialer Markt zuordnen: Strategie (i) wird erreicht, indem Marktprinzipien und Marktregeln auch bei cyber-physischen Systemen und deren Agenten im technischen Teil Anwendung findet. Dies ist ein am Institut verfolgter Ansatz, um zum einen Unsicherheit zu beherrschen und zum anderen aus der Genehmigungsfalle herauszukommen, die wir bei autonomen Systemen derzeit beobachten. Strategie (ii): Sofern Komponenten sich zu Agenten weiterentwickeln müssen diese einen Handlungsrahmen bekommen. Für gerechte Märkte ist dann ein Regeldesign notwendig, welches als Optimierungsaufgabe formuliert werden kann. Das Regeldesign beinhaltet auch das Nachdenken über neue Governance-Konzepte für Nachhaltigkeit. Am Institut ist die Idee entstanden eine „Gewaltenteilung“ für Nachhaltigkeit einzuführen. Die Verantwortung für die Planung und die Macht der Entscheidung für oder gegen eine mögliche Lösung sollte immer in getrennte Hände gelegt werden. Strategie (iii): Voraussetzung für die Effizienz von Märkten ist Transparenz. Am Institut wird daran geforscht, wie über sogenanntes Social-Modelling Akzeptanz ex-ante messbar wird, es wird die Idee verfolgt Beschränkungen durch Normen und Verträge maschinenlesbar zu machen und Pareto-Flächen inkl. physikalischer Schranken im Designraum zu zeigen. Dabei werden insbesonders soziale Kosten sowie der Abstand vom „besser geht’s nicht“ deutlich.

Pelz schließt den Vortrag mit dem Paradigma von Dieter Rams „Weniger, aber besser“. Dieses Paradigma adressiert die Suffizienz („weniger,…“) und gleichzeitig die Effizienz („…,aber besser“) der Nachhaltigkeitsstrategie. Es ist damit ein schönes Leitmotiv für die Zukunft des Instituts. „Weniger, aber besser“ ist Ausdruck des Einfachheitsprinzip, das auch als Ockhams Rasiermesser bekannt ist. Im Englischen gibt es für das Wort „einfach“ zwei Begriffe, nämlich „simple“ als Gegenteil von „complex“ and „easy“ als Gegenteil von „hard“. Das Vortragsende ist daher in englischer Sprache präziser zu formulieren:

„It is not easy to be simple, but it is worth it.”

(von links) Ingo Dietrich, Dr. Lea Rausch, Dr. Stephan Bross, Prof. Alfred Nordmann und Prof. Peter Pelz lachen und diskutieren zum Thema „Was ist Qualität?“ über Qualität, Zukunft und Nachhaltigkeit.
(von links) Ingo Dietrich, Dr. Lea Rausch, Dr. Stephan Bross, Prof. Alfred Nordmann und Prof. Peter Pelz lachen und diskutieren zum Thema „Was ist Qualität?“ über Qualität, Zukunft und Nachhaltigkeit.

Der dritte Teil des 125jährigen Jubiläums zeigt noch deutlicher in die Zukunft. Die Frage „Was ist Qualität“ wird im Diskurs zwischen Podium und Publikum im Lichtberghaus beleuchtet. Damit greift die Frage auch den Gründungsimpuls der TU Darmstadt auf. Die Diskussion wird von Ingo Dietrich geleitet, der als Geschäftsführer von Industrial Science GmbH täglich an der Schnittstelle zwischen Industrie, Gesellschaft und Wissenschaft arbeitet.

Die Diskussion kreist um ein enges oder breites Verständnis darüber, was eine hohe Qualität von Systemen ausmacht. Die Qualität ist damit erst einmal die Beschaffenheit eines Systems. Diese kann objektiv nach Merkmalen bewertet werden, d.h. mit einer Metrik verglichen werden. Es kann aber auch eine wahrgenommene positive oder negative Eigenschaft eines Systems sein.

Frau Dr. Lea Rausch von McKinsey beschäftigt sich in ihrer täglichen Arbeit mit der Qualität von Daten, Dr. Stephan Bross verantwortet bei der Fa. KSB AG den Bereich Technik. Er nimmt die Kundenrolle ein, um sein Erleben nachzuempfinden. Die Rolle „Qualitätsführerschaft“, so zeigt die Diskussion, ist je nach Markt unterschiedlich auszufüllen. Qualität ist also keinesfalls objektiv, wie die Definition des Qualitätsbegriffs nach DIN suggeriert. Das Empfinden unterscheidet sich von Mensch zu Mensch und von Markt zu Markt und Zeitpunkt zu Zeitpunkt. Auch die Entscheidung „just good enough“ vs. „as good as it can be” ist von Kunde, Hersteller oder Gesellschaft zu treffen.

Der Philosoph Prof. Alfred Nordmann und Peter Pelz weiten die Sicht auf Qualität, indem Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung in die Diskussion integriert wird. Es besteht Einigkeit darüber, dass das Auseinandersetzen über Qualität und die darin enthaltene Nachhaltigkeitsdimension für jede soziale Gruppe, sei es eine Universität, eine Kommune oder ein Industrieunternehmen, wesentlich ist. Uli Mayer-Johanssen, die MetaDesign AG gründete und heute im Vorstand des Club of Rome ist, war aus Gesundheitsgründen leider verhindert. In der Nachbesprechung stärkte Sie den Einwurf von Prof. Samuel Schabel, dass „die Natur verschwenderisch ist“ und allein das Streben nach Effizienz und Suffizienz unsere Probleme nicht lösen wird. Tatsächlich ist dies ein Plädoyer für Kreativität im Sinne der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit hat mit Haltung zu tun und Herz, so Mayer-Johanssen. Dies passte zu den Schlussstatements, dass das Streben nach Qualität (und Nachhaltigkeit) eine Selbstverständlichkeit ist, für die Universität für Unternehmen und Kommunen.

Die Frage nach „Was ist Qualität“ erscheint einfach und für die 125-Jahr-Feier auch gewollt provokant. Franz Reuleaux hat die Beschaffenheit deutscher Industrieprodukte im Jahr 1876 „billig und schlecht“ genannt. Als Preisrichter musste er mit gleicher Metrik messen. Da Wissen und Fähigkeiten die einzigen Ressourcen sind, die wir in Deutschland haben, war das Feedback von Reuleaux gnadenlos und heilsam. Der Begriff Feedback ist dabei ganz bewusst genannt, denn dieses kybernetische Prinzip führt praktisch immer zur meist positiven Veränderung komplexer Systeme. Daher mag es durchaus sein, dass die Gründung der TU Darmstadt auch durch dieses Feedback motiviert war.

Am Anfang steht also die Qualität. Schaut man auf die nächsten 125 Jahre, dann zeigt sich, dass der Mensch noch stärker in den Mittelpunkt rücken muss, da auf der einen Seite Mensch und Maschine kooperativ miteinander arbeiten und kommunizieren werden und auf der anderen Seite die Welt mit einem semantischen und dynamischen Wissensgraphen überzogen sein wird, der Antworten auf viele unserer Fragen ermöglichen wird in einer Art und Weise, die wir uns heute kaum vorstellen können.

Wichtig ist zu bemerken, dass soziale Kosten dann nicht nur durch Ressourcenverbrauch und den dadurch verursachten „ultimate waste“ verursacht werden, sondern auch durch Missachtung von Privatheit von Personen und Unternehmen bei der Nutzung von Algorithmen.

Immer dann, wenn Bedürfnisse durch Technologie geweckt werden, erwächst daraus eine Verantwortung. Mit der Dampfmaschine starten wir im Jahr 1774 unsere beschränkten Ressourcen, nämlich fossile Brennstoffe, zu verbrennen – um unsere Bedürfnisse zu befrieden. Es mag sein, dass die Bedürfnisse erst durch die Dampfmaschine geweckt wurden. Hier stellt sich die Henne-Ei-Frage: War erst das Bedürfnis der Menschen vorhanden oder wurde das Bedürfnis erst durch die Innovation geweckt? Die erste Antwort ist Market-Pull, die zweite Market-Push. James Watt und sein Geschäftspartner Matthew Boulton taten beides: Sie verbesserten die Effizienz und Bedienbarkeit der Dampfmaschine von Newcomen auch weil Menschen unzufrieden waren. Ursprünglich war die Dampfmaschine nur für das Antreiben von Pumpen gedacht. Watt und Boulton entwickelten die Technologie aber auch in eine Richtung, dass Webstühle in Manchester angetrieben werden konnten.

Matthew Boulton, antwortet auf die Frage nach Push oder Pull ganz pragmatisch: “I sell … what the world desires – Power!” Dieser Pragmatismus, ist häufig bei neuen Technologien oder neuen Märkten zu beobachten. Er entschuldet scheinbar Schulden an der Natur und der Gesellschaft: Der Kunde wollte es halt. Steve Jobs und auch Henry Ford sind dafür bekannt, dass sie nicht nach etwaigen Bedürfnissen fragten. Sie weckten Bedürfnisse wie auch Werner von Siemens, Johannes Gutenberg und viele andere.

Durch das Neue, durch die Innovation erwächst eine besondere Verantwortung für die Natur und die Menschen. Viele Unternehmen wie Bosch, Freudenberg, Merck, BASF und KSB nehmen diese Verantwortung heute sehr ernst. Andere Unternehmen, gerade die Unternehmen, die unsere Kommunikation ermöglichen, wie Facebook oder Google, sind noch weiter entfernt von einem verantwortungsvollen Handeln, das Bedürfnis, Funktion und soziale Kosten im Blick hat.

Was bedeutet der Tag für das Fachgebiet Fluidsystemtechnik der TU Darmstadt? Bereits heute adressiert das Fachgebiet in Forschung und Lehre die skizzierten Zukunftsfragen. Der Mensch steht im Mittelpunkt. Wir arbeiten an Methoden soziale Kosten transparent zu machen. Wir arbeiten daran, Datenökonomie und Datengovernance in den Ingenieurwissenschaften zu entwickeln und zu vermitteln. Damit ist das Institut in einem stetigen Wandel, den Dr. Jörg Necker anmahnt und aber auch positiv erkennt. Von Voith haben wir daher eine Kaplan-Turbinenschaufel erhalten mit genau diesem Ausspruch: Mut zur Veränderung.